Die digitale Community entwickelt und baut ihre Autos in Zukunft
weitestgehend selbst. Wie beeinflusst das die Automobilunternehmen und das
Architektur Team?
Aktuell gibt es einige Diskussionen
mit Kunden rund um digitale Strategien, den Einfluss auf Geschäftsstrategien
und Modellen und die Rolle von Enterprise Architecture dabei. Im Rahmen dieser
Diskussionen sehe ich es jedoch immer wieder, dass Dinge, wie Mobile Strategy,
Apps und digitale Plattformen in den Vordergrund gestellt werden. Ja, das sind
alles wichtige Themen, die man auch angehen und umsetzen muss. Wie sieht
allerdings eine digitale Geschäfts- und IT Strategie aus und welchen fachlichen
Mehrwert liefert die IT und das Architektur Team am Ende des Tages?
In den letzten Tagen bin ich auf
dieses Unternehmen gestoßen, Local Motors Company. https://localmotors.com/. In diesem
Unternehmen designed und entwickelt eine globale Community die Autos, die sie
aktuell haben will oder sich demnächst wünscht. Danach kann man in eine Local
Factory gehen und sich das Auto mit einem 3D Drucker drucken lassen. Ein
Minderaufwand an Montage komplettiert das Ganze dann noch. Das Unternehmen
selbst stellt „nur“ den Rahmen zur Verfügung, stellt strategische
Partnerschaften sicher und initiiert Projekte und Design Wettbewerbe für die
Community. Sieht so ein Automobilkonzern der Zukunft aus?
Mit Sicherheit ist Local Motors im
Moment kein Konkurrent für VW, Mercedes, BMW & Co, hätte allerdings
durchaus das Potential dazu. Der Einfluss dieses Konzeptes auf die
traditionelle Automobilindustrie ist jedoch enorm. Was glauben die Leser dieses
Blogs? Haben wir bei dem Konzept von Local Motors lange Supply Chains mit
komplexen Abhängigkeiten und Risiken? Wahrscheinlich nein. Benötigen wir dazu
grosse Car Factories, die mehr oder weniger zentral Autos produzieren? Auch
hier wahrscheinlich ein grosses Nein. Nebenbei erwähnt: Dezentralisierung
scheint nicht nur hier im Gange zu sein. Auch in der Energieversorgung geht
schon seit vielen Jahren der Trend hin zur dezentralen Energieversorgung mit
intelligenten Smart Home Konzepten.
Wenn ich mich mit Vertretern der traditionellen
Automobilindustrie unterhalte, kommen oft Themen zur Sprache, wie Application
Modernization, digitale Zielarchitekturen und Fähigkeiten, Cost Transparency /
Reduction & Connected Car, etc – um nur Einige zu nennen. Gleichzeitig
versuchen die Unternehmen direkt den Kunden anzusprechen, was die Händler
stärker ins Hintertreffen geraten lässt. Den Unmut der Händler kann man sich
vorstellen und manchmal schon jetzt erkennen.
Jetzt stellen wir uns einmal vor,
ein traditionelles Automobilunternehmen geht einen ähnlichen Weg, wie Local
Motors. Was würde dies ungefähr bedeuten?
Die kreativen Designer des
Unternehmens könnten stärker in die Moderatoren- und Governancerolle
hineingehen und Designs vorschlagen und begleiten oder auch Wettbewerbe für die
Community initiieren. Sie werden mit Sicherheit eine aktive Rolle spielen.
Allerdings werden grosse Teile von der Community getragen und entschieden. Im
Grunde ist dies die ideale Plattform, um mit den Endkunden direkt in Kontakt zu
treten und Rückmeldungen direkt und zeitnah zu erhalten.
Der Entwicklungsprozess von neuen
Modellen bis hin zur Markreife, der bisher Jahre dauert und eine Vielzahl an
Designern und Ingenieuren benötigt, kann unter diesem Ansatz in wenigen Wochen
oder maximal Monaten von Statten gehen. Auch die Ingenieure können weiterhin
eine aktive Rolle in diesem Zusammenhang spielen. Jedoch werden Sie stärker
standardisierte Elemente aus ihrem Baukasten zur Verfügung stellen, die die
Community dann nach Bedarf verwendet und kombiniert, um ihr individuelles Auto
zu drucken. Sie müssen aber auch zulassen, dass völlig fremde Elemente für
dieses Auto ebenfalls funktionieren. In Folge dessen, gehen sie auch in eine
stärke Moderatoren-, Standardisierungs- und Governance Rolle hinein.
Das Community Mitglied kauft dann
später kein Auto beim Händler, was vorher in einer Car Factory produziert
wurde. Das Mitglied kann entweder sein Auto, eines der Projektautos oder die
des Automobilunternehmens vor Ort in einer Local Factory „drucken und
montieren“ lassen, und das für ein überschaubaren Preis. Lange Liefer- und
Produktionsketten existieren in diesem Szenario kaum bis gar nicht. Der
bisherige Autohändler kann dabei in die Rolle der Local Factory hineingehen und
somit den Kontakt zum Kunden intensivieren und sein Geschäftsmodell erweitern.
Es ist auch durchaus möglich, dass sich eine lokale Community rund um diese
Local Factory bilden kann, die wiederum unabhängig Modelle und Konzepte
entwickelt und umsetzt.
Im Aftersales Bereich kann für eine
Reparatur notwendige Ersatzteile einfach vor Ort gedruckt und montiert werden. Eine
lange und kostenintensive Produktion, Lagerhaltung von Ersatzteilen in
Zentrallagern und Anfahrtswege- bzw. Zeiten fallen auch hier weg. Selbst für
Oldtimer könnten dann noch Ersatzteile gedruckt werden, die man im Moment nicht
erhalten kann. Die positive Kundenerfahrung kann man hier schon erahnen. Dabei
kommt in mir gleich eine weitere Frage hoch. Gibt es in Zukunft überhaupt noch
Oldtimer? Müssen dann überhaupt noch komplett neue Autos nach ein paar Jahren gekauft
werden und spielt das Alter eines Autos dann noch eine Rolle? Im Grunde kann
man doch dann Ersatzteile drucken und sein Auto permanent runderneuern oder
abändern, je nach Bedarf und Wunsch. Wie sähen dann wohl ein Car Lifecycle
Management, geschweige denn Garantie, Kulanz und der Preis eines Autos oder
eines Ersatzteiles aus?
Ich könnte jetzt noch weitere Punkte
beschreiben. Aber bleiben wir einmal kurz hier stehen und fragen uns Folgendes.
Wenn wir schon solche gravierenden Änderungen im fachlichem Umfeld haben, was
bedeutet dies dann erst aus architektonischer Sicht und für das Architektur
Team?
Eines dürfte schon jetzt klar sein,
komplexe Produktentwicklungs-, Produktions- und Lieferketten und Prozesse mit
Abhängigkeiten existieren hier kaum noch, oder auch gar nicht. Folglich müssen
auch keine komplizierten Unternehmens- und IT Architekturen für diese Bereiche
entwickelt und dokumentiert werden. Wenn überhaupt noch, dann ganz rudimentär
und auf eine Community zugeschnitten. Den Effekt auf die Kostenstruktur für das
Unternehmen und die IT erwähne ich hier noch nicht einmal.
Da ich schon von einer Community
sprach, was bedeuten dann eigentlich die Begriffe „Unternehmensarchitektur“,
„Kunde“ und „Produkt“ (im Moment ein Auto) für das Architektur Team und für das
Unternehmen?
Das Architektur Management wird sich
unter diesem Gesichtspunkt wohl kaum noch auf das traditionelle Unternehmen und
dessen Architektur alleine beziehen. Die Community, sprich Kunde, Partner,
Lieferanten oder auch Konkurrenten sind Teil der gesamten
Architekturbetrachtung und wirken aktiv an der Entwicklung der Architektur mit.
Damit muss das Architektur Team auch erst einmal umgehen lernen und
akzeptieren, Aufgaben auszulagern oder sogar einen Service Katalog anzubieten –
die Frage ist dann an wen.
Wer ist dann eigentlich der „Kunde“
für das Architektur Team? In diesem Szenario steht das Architektur Team
plötzlich vor der Tür der Endkunden, ist Teil der neuen Business Value Chain,
bietet Services an, wirkt bei der Entwicklung von Business Modellen aktiv mit
und verändert auch gemeinsam mit der Community die notwendige Architektur.
Die Herausforderungen an die
Architektur Organisation, das Team, deren Fähigkeiten und Wissen werden
entsprechend anders gelagert sein. Es geht viel stärker darum, sich Business
Knowhow anzueignen, den Business Value ihrer Architektur und ihres Handelns in
den Vordergrund zu stellen und dafür zu sorgen, die gesamte Architektur zu
steuern und Standards zu definieren, die Community weit Gültigkeit haben, und
die Community ein Stück weit zu begleiten. Langwieriges Modellieren und
Dokumentieren von komplexen Architekturen, eine „Massenproduktion“ von Artefakten
(oder auch Datengräbern) spielen für das Architektur Team kaum noch eine Rolle
– das übernimmt teilweise auch die Community. Das Architektur Team muss dann
„nur“ dafür sorgen, den Gesamtüberblick zu behalten, entsprechend zu steuern,
und in der Lage zu sein, Analysen kundengerecht bereit zu stellen.
Die Frage nach dem „Produkt“ stellt
sich jetzt allerdings auch noch. Wenn wir unter Umständen keine Autos mehr
kaufen müssen, weil wir sie permanent erneuern und ändern können, was ist dann
noch ein Produkt für das Unternehmen und das Architektur Team? Ist das noch ein
Auto im traditionellen Sinne, oder reden wir hier zusätzlich auch von Intellectual
Property? Wenn ja, wer ist Eigentümer vom Intellectual Property und deren Daten
und was ist ein Preis dafür, wenn ich teilweise an der Entwicklung mitwirke?
Das Architektur Team ist also
angehalten, ein umfassendes Datenmodell zu definieren und muss ebenfalls in der
Lage sein die Daten und Informationen der gesamten Community zu verwalten, zu
schützen, bereitzustellen und zu integrieren und der Community – je nach Bedarf
– jederzeit und überall zu Verfügung zu stellen. Das Ganze muss dann natürlich
noch funktionieren, wenn Millionen von Community Mitgliedern unterschiedlichste
Tools und Standards verwenden, um sich am gesamten Prozess zu beteiligen.
Daten und Informationen werden also
noch stärker ein „hohes Gut“ für das Unternehmen sein, als jetzt schon. Wer
hier in der Hauptrolle ist, eine Plattform und ein intelligentes Architektur
Management, Standards bereitstellt und gleichzeitig Business Value Chains mitgestaltet,
dem wird eine tragende Rolle im Unternehmen zu Teil – Architektur Team.
Dies ist mit Sicherheit nur ein
kleines Szenario und ich habe auch nicht den Anspruch der Perfektion oder
Vollständigkeit. Aber jeder kennt doch den Begriff, der oft im Zusammenhang mit
Enterprise Architecture genannt wird: Business and IT Alignment. In diesem
Szenario kann man den Begriff ersatzlos streichen und dafür folgendes sagen: IT
is part of the business. Das passt doch viel besser unter diesem Umständen.
Eines noch kurz zum Schluss. Ich
habe mich in diesem Szenario auf die Automobilindustrie fokussiert. Unter dem
folgendem Link finden Sie ein weiteres Beispiel, allerdings aus der Bauindustrie.
http://www.yhbm.com/index.php?siteid=3
Wie sieht wohl ein Szenario aus,
wenn man in naher Zukunft, wie jetzt schon in China, ein Haus einfach einmal
drucken kann und binnen Tagen aufbaut? Wir können gerne darüber diskutieren.
You are in the driver seat,
Architecture Team!